Wut auf die Welt


Mit Schwarzpulver gegen den Kapitalismus: Eine Serie von Briefbomben erschüttert Athen. Adressaten sind ausländische Vertretungen. Dahinter scheinen gewaltbereite Jugendliche zu stecken, die ihrem Ärger über ein Leben ohne Perspektive Luft machen wollen. Eine Verbindung zu Al Kaida gibt es nicht.

Von Anke Stefan, Athen

Griechenland wird von einer Serie Briefbomben erschüttert. Eine Briefbombe mit geringer Sprengkraft explodierte am Dienstag in der Schweizer Botschaft in Athen. Weitere Briefbomben, adressiert an die Botschaften Bulgariens, Chiles, Deutschland und Russlands, konnten abgefangen werden. Eine weitere gelangte ins Bundeskanzleramt in Berlin. Alle Briefbomben bestanden laut Polizeiangaben aus einem Sprengsatz aus Schwarzpulver mit geringen Sprengkraft. Als Absender waren griechische Politiker, Ministerien oder nichtstaatliche Organisationen angegeben.

Bereits am Montag war eine baugleiche Briefbombe, adressiert an die mexikanische Botschaft, in einer Post explodiert. Die Postangestellte wurde dabei leicht verletzt. Wenig später nahm die Polizei den Täter und einen Komplizen im Alter von 22 und 24 Jahren fest. Beide waren bewaffnet. In einer Tasche fand die Polizei weitere Briefbomben, adressiert an den französischen Präsidenten und die belgische Botschaft in Athen.

Anschläge an der Tagesordnung

Einer der beiden Täter ist ein seit längerem gesuchtes mutmaßliches Mitglied der Organisation „Verschwörung der Feuerzellen“. Sollte sich dieser Verdacht beweisen, so ist den griechischen Behörden damit erstmalig ein Mitglied der „Feuerzellen“ in flagranti ins Netz gegangen. Die Gruppe ist eine der knapp ein halbes Dutzend „Stadtguerillaorganisationen“, die derzeit aktiv sind. Griechenland kennt eine unheilige Tradition des „Bewaffneten Kampfes“; bereits kurz nach dem Ende der Militärdiktatur 1974 hatte sich hier die erste „Stadtguerilla“ konstituiert. Anschläge etwa mit „Molotow-Cocktails“ oder Gaskartuschen auf Gebäude, Geschäfte und Büros sowie abgebrannte Nobelkarossen ist man gewohnt. Die Griechen nehmen solche meist auf Sachschäden gerichteten Anschläge gelassen hin, wenn es sich nicht gerade selbst betrifft.

Produkt der Unruhen von 2008

Die „Feuerzellen“ sind allerdings neu, ein Produkt der Unruhen vom Dezember 2008. Damals hatten zehntausende Jugendliche gegen die Ermordung eines 15jährigen Schülers durch die Polizei protestiert. Die anfängliche Empörung über den Mord war in einen Wochen andauernden und teilweise sehr militanten Prostest gegen Polizeiwillkür und die eigene Zukunftslosigkeit im schon damals von der Krise geschüttelten Griechenland umgeschlagen.

Obwohl der Todesschütze mittlerweile erstinstanzlich wegen Mordes verurteilt wurde, hat sich Lage nicht beruhigt. Das liegt auch daran, dass die Ursachen der Probleme tiefer liegen. So zeichnet die Ideologie der „Feuerzellen“ eine geradezu nihilistische Wut auf alles Bestehende aus – kapitalistisches Gesellschaftssystem, „Konsumterror“ und allgemeine Entfremdung.

Verständnis für Gewalt

Trotz der häufigen Anschläge – die meisten Griechen fühlen sich nicht selbst bedroht. In Umfragen rangieren Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit oder Angst vor Verarmung weit vor einer Bedrohung durch Kriminalität oder gar Terrorismus. Der Alltag ist von den Auswirkungen der wirtschaftlichen und der Schuldenkrise geprägt. In jedem Viertel schließen Geschäfte. Kaum eine Familie hat nicht mindestens einen Arbeitslosen zu versorgen. Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen wird zwar weitgehend abgelehnt, im „Kafeneion“ aber doch schon mal Verständnis für die geäußert, die „denen da oben“ mit Gewalt entgegentreten. Die wahren Verbrecher sind für viele Griechen eher Leute wie Michalis Christoforakos. Unter der Regie des langjährigen Landeschefs von Siemens in Griechenland waren Millionen von Schmiergeldern für staatliche Milliardenaufträge gezahlt worden. Bei Bekanntwerden des Skandals hatte sich der Siemens-Manager rechtzeitig nach Deutschland absetzen können. Nicht ohne staatliche Hilfe, meinen viele Griechen.

Viele vermuten denn auch bei den Briefbomben den Finger dunkler geheimdienstlicher Kräfte. Spekulation um Verschwörungen und die Verwicklung staatlicher und parastaatlicher Kräfte haben eine ebenso große Tradition wie die Anschläge selbst. Nur eine Theorie scheidet aus: Eine Verbindung zu den Paketbomben aus dem Jemen gibt es nicht, die zeitliche Übereinstimmung der Anschläge ist Zufall.

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